igus: Vom Kölner Startup zum Global Player

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© Igus

Frank Blase ist CEO des Kunststoffspezialisten igus, der zuletzt rund eine Milliarde Euro Umsatz erzielte. Ein Gespräch über Fahrräder aus Kunststoff, Roboter und eine Gründungsmentalität, die Frank Blase als Familienerbe in die Wiege gelegt wurde.

 

Herr Blase, Ihr Vater, Günter Blase, hat das Unternehmen igus mit seiner Frau Margret im Jahr 1964 in einer Garage in Köln gegründet. Wie viel Mut gehörte damals dazu?

Ich glaube, dazu brauchte es eine riesige Portion Mut. Meine Eltern haben das Unternehmen nicht nur gegründet, sie hatten am Anfang auch keine einzige Maschine, keine Mitarbeitenden. Mein Vater, Ingenieur der Holzindustrie und langjähriger Fabrikleiter einer Kölner Kunststoff Firma, hatte sich selbständig gemacht und nun seine Frau und zwei Kinder daheim, die Essen brauchten. Also nahm er all seinen Mut zusammen, ging zum Automobilzulieferer Pierburg und sagte: „Geben Sie mir Ihr schwierigstes Teil und ich finde eine Lösung.“

 

Das klingt in der Tat mutig. Was war das für ein Teil?

Es war ein Ventilkegel für einen Fahrzeugvergaser. Die kundigsten Ingenieure hatten sich an einer klugen Lösung die Zähne ausgebissen, doch mein Vater sah es als Her- ausforderung. Er wollte das Bauteil ganz anders angehen, aus Plastik formen und zwar mit einer Spritzgussmaschine. Mein Vater experimentierte dann so lange, bis er die perfekte Lösung hatte. Das war sicherlich mutig, aber auch hartnäckig und von Improvisation gekennzeichnet.

 

Würden Sie sagen, diese Mentalität gibt es heute noch so?

Auf jeden Fall. Ich beobachte diesen Mut jeden Tag bei uns in der Firma, die ja sehr stark gewachsen ist, aber auch bei den vielen Startups, die es in Köln und der Umgebung gibt. Da sind sehr viele dabei, die genau das haben, was uns auch ausmacht: einen unbändigen Gründungsgeist und das Verlangen, alles immer noch ein bisschen besser zu machen.

 

Seit 1964 hat sich viel getan bei igus. Aus dem Startup in der Doppelgarage haben Sie als Nachfolger eine riesige Firma gemacht, aus 1,4 Millionen Euro Umsatz im Jahr 1983 zuletzt rund eine Milliarde Euro. Das Einzige, was sich nicht verändert hat, ist der Standort Köln. Was hält Sie bis heute in der Metropole?

Die Vielfalt und die Attraktivität für junge Leute, die zuziehen. Auch die von außen oft unterschätzte Industriebreite, mit der man eine sehr gute Lieferkette organisieren kann, ist sicherlich ein Standortfaktor. Dazu kommt die riesige Innovationsfreude, die ich an diesem Standort besonders schätze. Ich denke, Köln zeigt eindrucksvoll: Man muss nicht ins Ausland, um zu sparen und das Produkt zu verbessern. Man kann das auch und gerade mit einer Kölner Firma machen.

 

Sie haben weltweit über 4.000 Mitarbeitende. Wo rekrutieren Sie die besten Köpfe?

Viele, die in Köln anfangen, holen wir direkt von den Hochschulen in Köln und aus der Region. Daneben haben wir als Unternehmen zusätzlich mit der IHK in Köln ein Programm für Erwachsenenbildung aufgelegt. In den vergangenen Jahren haben wir dort fast 200 Erwachsene bei vollem Lohn zu Facharbeiterinnen und Facharbeitern ausgebildet, zum Beispiel am Kunststoffspritzguss.

 

"Mut bedeutet immer, etwas anders zu machen."

- Frank Blase, CEO igus

 

Bei igus laufen immer viele Projekte parallel. Welches liegt Ihnen zurzeit besonders am Herzen?

Mut bedeutet für mich immer, etwas anders zu machen als alle anderen bisher. Da passt das igus:bike perfekt rein. Denn mit dem igus:bike arbeiten wir aktuell am Traum eines kompletten Fahrrads aus Kunststoff, das nie rostet und nie geschmiert werden muss und zum allergrößten Teil aus Recycling-Haushaltsmüll gemacht werden kann. Diesen Traum erfüllen wir uns mit DutchFiets, jetzt umbenannt in mtrl.bike. An dieser Firma haben wir uns maßgeblich beteiligt, auch finanziell, weil wir an diesen Traum glauben. Die ersten kompletten Räder werden von mtrl.bike gefertigt, sämtliche bewegten Teile kommen aus Köln. Weiterhin haben wir die igus:bike-Plattform gestartet und möchten damit die Fahrradindustrie befähigen, Räder aus Kunststoff zu produzieren, die deutlich nachhaltiger sind.

 

Kunststoffe werden sehr kritisch beäugt. Ist das überhaupt noch zeitgemäß, alles ausgerechnet mit Kunststoffen zu ersetzen?

Wer unsere Produkte einsetzt, kann online die Lebensdauer berechnen und kann dann Produkte mit längerer Lebensdauer einsetzen. Wenn man sich das Fahrrad anschaut, oder auch viele andere Teile, fällt zudem auf: Sie müssen diese Produkte niemals schmieren, es braucht also kein Öl. All das sind sehr starke Beiträge für die Nachhaltigkeit.

 

Reichen diese Beiträge Ihrer Meinung nach aus?

Natürlich müssen wir bei der Herstellung und beim Kunststoffabfall viel tun, um – mit Star Wars gesprochen – auf der hellen Seite der Macht zu stehen. Aber ich muss sagen: Das tun wir auch. Unser Ziel ist, bis 2025 klimaneutral zu sein. Und wir sind schon auf bestem Weg dorthin. Bis jetzt sind wir bei 95 Prozent und haben viele Projekte, die als wahre Nachhaltigkeitspioniere durchgehen.

 

Nennen Sie mal ein Beispiel.

Wir haben das chainge®-Programm, das sich auf Energieketten spezialisiert. Das sind Kunststoffteile, die man um Kabel oder Leitungen herumlegt, um sie zu schützen – ähnlich wie der Kabelkanal am eigenen Schreibtisch, nur deutlich robuster. Über das Programm nehmen wir verschlissene, alte Energieketten gegen Wertgutscheine zurück und führen diese Energieketten wiederum der Circular Economy zu. Das ist extrem erfolgreich am Markt. Im Sinne von „Cradle to Cradle“ haben wir die sogenannte Cradle-Chain dieses Jahr herausgebracht, die zu 100 Prozent aus diesen wertvollen Abfällen besteht.

 

Seit fast 60 Jahren fällt igus immer etwas Neues ein. Was ist Ihre Geheimformel?

Wir schöpfen ganz viele Ideen aus Kundenwünschen. Unsere gedachte und gelebte Organisation ähnelt einem Sonnensystem. Der Kunde ist die Sonne, von der Sonne bekommt man Licht und Energie, sprich Geld und Ideen. Manchmal gibt es auch Sonnenbrand, also Reklamationen. Und da muss man sich dann sofort kümmern. Im realen Leben müssten sie das eincremen, wir erschaffen aus den Reklamationen neue Produkte. Das geht natürlich nur, weil wir uns trauen, den Kunden auch gut zuzuhören und auch mal eine harsche Kritik einstecken. Das gehört für mich aber dazu: Wer hoch hinaus will, muss sich ehrlicher Kritik mutig stellen.

 

Also entstehen alle Ideen aus Fehlern?

Nein, wir haben noch eine weitere Quelle für unsere Innovationen und das sind einfach unsere Träume, die wir konzeptionieren und anschließend umsetzen. Niemand hat uns jemals nach einem Fahrrad aus Kunststoff gefragt oder einem Roboter aus Kunststoff. Wir aber halten das für großartige Ideen, nehmen unseren Mut zusammen und setzen das dann auch um, sind heute fest im Robotergeschäft verankert.

 

Ist ein Roboter aus Kunststoff wirklich ein realistisches Szenario?

Auf jeden Fall, gerade für kleine und mittelgroße Unternehmen sind die Roboter spannend, die auch sehr großes Interesse bei unseren Kunden hervorrufen. 40 Prozent der Hardwarekosten eines Mehrachsroboters stammen aus dem Getriebe. Indem wir das Getriebe aus Kunststoff-Spritzguss machen können, was sehr viele Jahre der Forschung und Tests bedurfte, reduzieren wir die Kosten für unsere Roboter auf unter 5.000 Euro inklusive Steuerung.

 

Was bedarf es noch neben Mut, um innovativ zu sein?

Man muss sich Freiräume schaffen. Beispielsweise starten wir neue Unternehmungen mit mindestens zwei Kolleginnen oder Kollegen aus Produktentwicklung und Marketing-Vertrieb. Bei unserem Fahrrad verteilten wir Entwicklungsprojekte rund um Kugellager, Zahnräder oder Kurbeln zusätzlich auf bestehende Spezialistinnen und Spezialisten. Wir schaffen also eine breitere Verteilung und damit mehr Freiraum für das Projekt. Auch finanziell versuchen wir uns bei besonders wichtigen Zielen Luft zu verschaffen: Wenn wir eine bestimmte Messe oder einen Traumkunden beliefern wollen, geben wir dafür Gelder frei. Diese Freiräume zu eröffnen, trauen sich viele Unternehmen nicht, weil sie darin vielleicht ein zu großes Risiko sehen. Bei uns geht das.


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