Haben Lockdown und Kontakt-Einschränkungen über die CO2-Minderung wichtige Klimaschutz-Ziele greifbarer werden lassen? Eine Veranstaltung der Kölner Wissenschaftsrunde und KölnBusiness beleuchtete das Thema Klima und Corona.
Deutschland hat sein Klimaziel für 2020 erreicht und den Treibhausgasausstoß um rund 70 Millionen Tonnen oder 8,7 Prozent gegenüber 2019 gesenkt – so stark wie nie seit 1990. Klingt doch super. Aber: Ein echtes Verdienst aktiver Klimapolitik ist das wohl nicht. „Zwei Drittel des Rückgangs sind auf die Pandemie zurückzuführen“, sagte Fabian Arnold vom Energiewirtschaftlichen Institut an der Universität zu Köln am 9. Juni bei der Online-Veranstaltung „Klimaschutz durch oder trotz Corona“ (siehe Infokasten).
Vor allem der Rückgang der Industrieproduktion und die Abnahme des Straßenverkehrs durch weniger Reisen und Pendler*innen seien die Ursachen dafür. Außerdem spielte ein besonderer Effekt dem Klimaschutz in die Hände, berichtet der Forscher. Die Gaspreise seien im Jahr 2020 so stark gesunken, dass die Stromerzeugung in Gaskraftwerken deutlich konkurrenzfähiger geworden sei. Und diese Technologie ist eben deutlich effizienter und abgasärmer als etwa die Kohleverstromung.
Weltweit lag der Rückgang des Treibhausgasausstoßes bei etwa 6 Prozent. Das allerdings reiche nicht für eine Trendwende, sagt Arnold: „Auf globaler Ebene kann man von einem Klimaschutzeffekt durch Corona kaum sprechen.“ Außerdem würden viele Expert*innen für das Jahr 2021 auch schon wieder einen Anstieg der klimaschädlichen Emissionen erwarten.
Internet so klimaschädlich wie der Flugverkehr?
Hat dieser Anstieg der Emissionen in 2021 auch mit der Digitalisierung zu tun? Kaum ein Thema im Zusammenhang mit der Pandemie ist derzeit so umstritten wie dieses. Prof. Dr. Wolfgang Konen vom Institut für Informatik der Technischen Hochschule Köln ist der Frage nachgegangen, ob der Energiebedarf für die Internetnutzung tatsächlich so gigantisch ist, dass er den Rückgang etwa durch weniger Verkehr zumindest teilweise wieder auffrisst.
58 Prozent der Internetnutzung gehen inzwischen auf Videostreaming zurück. Das schließt eben auch Online-Vorlesungen, virtuelle Seminare, Videokonferenzen und die Formate ein, die seit Beginn der Pandemie für viele alltäglich geworden sind. Eine Stunde Streaming in hoher Auflösung, also Full HD, entspricht einem Datenvolumen von 3 Gigabyte. 333 Stunden also entsprechen einem Terabyte (TB). Aber wie viel Energie ist dafür nötig, und wie viel Treibhausgas wird dafür produziert? Eine abschließende Antwort darauf ist noch kaum möglich. Konen hat bei seiner Recherche Studien gefunden, die von 0,11 Kilowattstunden (kWh) Bedarf für ein TB bis zu 2.300 Megawattstunden für dieselbe Datenmenge reichen. Letzteres würde bedeuten, dass allein das Videostreaming so viel Treibhausgas auslöst wie der gesamte globale Flugverkehr.
Konen hält das für unrealistisch. Er kommt bei eigenen Berechnungen auf einen Bedarf von 230 kWh für ein TB. Gemessen an den Anteilen von Kohle, Erneuerbaren und anderen Energieträgern im aktuellen deutschen Strommix bedeutet eine kWh 474g CO2. Umgerechnet auf den Energiebedarf für eine Full HD-Vorlesung, die von 70 Studierenden verfolgt wird, kommt der Informatiker auf eine Treibhausgas-Emission von 23 Kilogramm für diese Online-Veranstaltung.
Ist das nun viel? Relativ eher nicht. Konen verweist darauf, dass er allein schon rund 20 Kilo CO2 verursachen würde, wenn er für die Vorlesung von Köln zum TH-Campus in Gummersbach führe. Übrigens ließen sich die vom Streaming ausgelösten Emissionen durchaus noch deutlich senken, wenn man die Videoeinstellungen auf seinem Endgerät entsprechend ändere: „Wenn Sie auf Ihrem Handy ein Video schauen, brauchen Sie überhaupt kein Full HD.“
Lieferketten: Nachhaltiger und krisenfester
Die Frage ist, ob wir durch die Pandemie etwas gelernt haben, das langfristig auch dem Klima hilft. Vielleicht bei der Gestaltung der globalen Lieferketten? „40 Prozent der Lieferketten haben der Pandemie nicht standgehalten“, berichtete Prof. Dr. Lisa Fröhlich, Präsidentin der CBS International Business School. Corona sei ein Weckruf gewesen: In einer Umfrage unter international agierenden Unternehmen hätten 83 Prozent angegeben, dass sie sich der Risiken in der Lieferkette – wie Rohstoffengpässe, Produktionsstillstände oder Transportblockaden – jetzt stärker bewusst seien. Viele Unternehmen wollten nun krisenfestere Lieferketten aufbauen, und die seien quasi automatisch auch nachhaltiger.
Die Forscherin rät Unternehmen dabei zu konsequentem Handeln, das beim Thema Nachhaltigkeit noch nicht weit verbreitet sei. „Wir haben bisher immer nur versucht, weniger schlecht zu sein, indem wir zum Beispiel das Gewicht einer Verpackung reduzieren. Aber wir brauchen radikalere Lösungen!“ Was im Beispiel heißen würde: Verpackung ganz weglassen. Mit Blick auf die Lieferketten sollten Unternehmen vor allem den Einkauf unter die Lupe nehmen und dabei nicht immer nur die unmittelbaren Kosten betrachten.
Themenwochen der Kölner Wissenschaftsrunde
Der 2004 gegründeten Kölner Wissenschaftsrunde gehören zahlreiche Hochschulen und Forschungsinstitute sowie die IHK Köln und KölnBusiness an. Die Gemeinschaft möchte Forschung erlebbar machen, die Verbindung von Wissenschaft und Wirtschaft stärken und Köln als Wissenschaftsstandort weiter profilieren. Die KölnBusiness Wirtschaftsförderung will auf diesem Wege „Unternehmen helfen, ihre Innovationskraft zu steigern, mit Blick auf Corona und darüber hinaus“, wie Geschäftsführer Dr. Manfred Janssen bei der Eröffnung des Webinars „Klimaschutz durch oder trotz Corona“ sagte. Die Veranstaltung war Teil der noch bis Ende Juni andauernden Kölner Themenwochen, die dieses Jahr das Leitmotiv „Das neue Normal – Chancen nutzen und Zukunft gestalten“ tragen.