KI in der Wirtschaft: Wie Kölns Unternehmen mit künstlicher Intelligenz den Vorsprung sichern
KI in der Wirtschaft ist viel mehr als ein Hype, sie ist die nächste Stufe der wirtschaftlichen Revolution. Die Versprechen für eine bessere Zukunft sind zwar oft noch schwammig. Doch viele Kölner Unternehmen und Startups zeigen schon heute, was möglich ist – vom Einzelhändler bis zum Versicherungskonzern.
KI-Supermarkt: REWE setzt mit Pick&Go auf künstliche Intelligenz
Die Zukunft des Einkaufens liegt nicht im Silicon Valley, sondern an einer viel befahrenen Straße in der Kölner Innenstadt. Genauer gesagt: in einem KI-Supermarkt von REWE. An einem gewöhnlichen Wochentag bewegen sich dort Menschen durch die Regalreihen. Und während die einen sich mit vollem Einkaufskorb an die Kasse stellen, stecken andere die Ware direkt in die Tasche und sind auf und davon.
Was wie dreister Diebstahl aussieht, ist genau so gewollt. Pick & Go heißt das Konzept. Die Idee: Mithilfe Hunderter Kameras an den Decken und versteckter Sensoren in den Regalen erstellt eine künstliche Intelligenz ein einzigartiges 3D-Modell des Marktes und der Kundinnen – während sie einkaufen. So weiß das System zu jeder Zeit, wo welches der 13.000 Produkte steht, wer danach greift, ob die Kundinnen es woanders wieder ablegen und welche Früchte, Nudeln, Getränke oder Gewürze schließlich in der Einkaufstasche landen. Gehen die Kundinnen, die am Eingang über die Pick&Go-App eingecheckt haben, mit der Ware aus dem Markt, rechnet die KI automatisch über ein hinterlegtes Zahlungsmittel ab. In der Schlange an der Kasse stehen? Den Einkauf am Selbstbedienungsterminal scannen? All das ist für die Nutzerinnen von Pick & Go nicht mehr nötig.
Kameras und Sensoren: Die Technologie hinter dem KI-Supermarkt
Was sich im REWE-Markt exemplarisch zeigt, ist der Durchbruch von KI in der Wirtschaft und damit ihr Einzug ins echte Leben. In den Alltag, in den wöchentlichen Einkauf, in die eigenen vier Wände. Damit gilt REWE als Vorreiter in der Branche. Doch der Weg dorthin war lang. Seit Jahren tüfteln die Kölner an KI-Lösungen, die Lieferrouten, Lagerbestände und Onlineeinkäufe erfassen, berechnen und antizipieren. Das alles geschieht im Hintergrund. In den bundesweit sechs Pick&Go-Testmärkten, außer in Köln gibt es sie auch in Berlin, Hamburg, München und Düsseldorf, wird die KI sichtbar. Denn diese hat REWE gemeinsam mit dem israelischen Startup Trigo Vision mit Technik nur so vollgestopft.
Hunderte Kameras hängen an der Decke, millimetergenau ausgerichtet. Sie scannen die schematische Darstellung der Kundinnen und ordnen ihnen fortlaufende Nummern zu. „Die KI scannt keine Gesichter, und wir erstellen auch keine Einkaufsprofile“, betont Jana Sanktjohanser, Projektleiterin Pick&Go bei REWE. „In unserem Computer-Vision-System ist alles anonym. Wer zweimal einkauft, wird auch nicht wiedererkannt.“ Dank viel Training schaffen es die Algorithmen mühelos, die Menschen durch den Markt zu begleiten, auch wenn diese auf andere Kundinnen zugehen. In den vergangenen Monaten hat das System gelernt, Dosen oder Flaschen, die nahezu identisch aussehen, zu unterscheiden und richtig zuzuordnen. Neben den Kameras arbeitet die KI mit einem Sensorboden in den Regalen. Der registriert grammgenau, ob und was die Kundinnen herausnehmen. Dass das so reibungslos funktioniert, hat viel mit Ausdauer zu tun. Begonnen hat das Experiment bereits 2018, sechs Jahre später ist die Testphase beendet, und Kundinnen können es live erleben – im REWE an der Luxemburger Straße.
Mehr als Experimente: Wie Kölner Unternehmen KI in nützliche Lösungen verwandeln
Das Potenzial von KI in der Wirtschaft hat nicht nur REWE erkannt, sondern mittlerweile auch ein Großteil der Kölner Unternehmerschaft. 16 von 20 Kölner Großunternehmen arbeiten bereits mit KI für Unternehmen. Jedes zehnte der rund 700 in Köln ansässigen Startups hat einen KI-Fokus, mit DeepL sitzt sogar das wertvollste KI-Startup Deutschlands in der Innenstadt. Expert*innen wie der Vorstandsvorsitzende des KI-Bundesverbandes, Jörg Bienert, sprechen von der Region Köln als einem zentralen KI-Standort in Deutschland und Europa. Das Besondere an vielen Kölner Beispielen: Sie experimentieren nicht nur mit KI, sondern haben brauchbare Lösungen, die den Alltag von Menschen und Unternehmen bereichern können. Dazu zählt auch das Startup Xaver.
Xaver: KI in der Altersvorsorge für eine sichere Zukunft
Erst 2023 gegründet, konnte das Startup von Max Bachem und Ole Beulmann in diesem Jahr mehr als fünf Millionen Euro einsammeln. Damit hat es eine der größten deutschen Pre-Seed-Finanzierungsrunden dieses Jahres hingelegt und prominente Gesichter wie Ex-Commerzbank-Chef Martin Blessing, Fußballstar Mario Götze, ehemalige Unicorn-Gründer*innen und Ex-Vorstände von Allianz sowie der Gothaer von sich überzeugen können. Sie alle glauben an die Vision der Gründer, die Altersarmut in Europa mithilfe von KI zu bekämpfen.
Dafür hat Xaver eine Software für Banken und Versicherungen entwickelt, die Privatkundinnen eine KI-basierte Einschätzung und Empfehlung zur Verbesserung ihrer persönlichen Vorsorgesituation gibt. Diese beantworten dazu Fragen, und die KI berechnet, welche Produkte für sie geeignet sind, um eine mögliche Rentenlücke zu schließen. „Da viele Kundinnen solche wichtigen Entscheidungen heute jedoch noch mit einem Menschen validieren wollen, können sie jederzeit zu einem persönlichen Beratungsgespräch wechseln“, sagt Gründer Bachem. „So sorgt unsere Software für ein effizienteres Kundenerlebnis – digital und persönlich.“ Die KI, die den Kunden oder die Kundin zuvor beraten hat und daher bereits kennt, fungiert als Co-Pilot. Sie kann zum Beispiel das Beratungsgespräch transkribieren. Nach Angaben von Xaver können Vertriebler*innen mithilfe der Software bis zu 50 Prozent Zeit einsparen.
Optimierte Beratung durch KI: Daten und Algorithmen im Einsatz bei Xaver
Gefüttert werden die Algorithmen mit Millionen von Daten, Vertriebshandbüchern, früheren Kundengesprächen und vielen wichtigen Regularien im Finanzvertrieb, die die KI beachten muss. „Unsere Plattform orchestriert eine Vielzahl unterschiedlicher KI-Modelle, um für jede Aufgabe das Beste zu nutzen“, sagt Bachem. „Die Beratung und Empfehlungen zur individuellen Finanzsituation sind objektiv und datenbasiert, die Beratungsqualität ist bereits sehr hoch.“ Die Modelle lernen ständig dazu, und wir stehen erst am Anfang der Möglichkeiten von KI.“
KI in der Versicherungsbranche: Die Gothaer als Vorreiter
Wie weit KI in der Versicherungsbranche bereits vorgedrungen ist, zeigt auch das Beispiel der Gothaer. Der Versicherungskonzern mit Sitz in Köln nutzt unter Marketingleiter Thomas Heindl beispielsweise ein Inhouse-ChatGPT für seine selbstständigen Außendienstler*innen. Diese können damit in wenigen Sekunden LinkedIn-Posts für ihr individuelles Marketing generieren und so gezielt KI-Unterstützung für Unternehmen nutzen. „Das kann im besten Fall 50 Prozent und mehr der Zeit einsparen, die man sonst für das Texten benötigt“, sagt Heindl.
In der Abteilung Data Analytics wird wiederum berechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass Kund*innen oder ganze Haushalte einen Vertrag kündigen. Einfache Faktoren in dieser Berechnung sind beispielsweise, dass nur ein Vertrag besteht oder andere Verträge schon gekündigt wurden. „Das ist noch für jeden Laien nachvollziehbar, dass die Kündigungswahrscheinlichkeit hier potenziell höher ist“, sagt Heindl. „Mit der künstlichen Intelligenz können wir nun viel mehr Faktoren schneller berücksichtigen, zum Beispiel den Umzug von Vermittlerinnen und Vermittlern.“
Emotionen erkennen mit KI: Wie die Gothaer Kundenfeedback entschlüsseln will
Perspektivisch möchte die Gothaer auch KI-gestützte Sentiment-Analysen durchführen, um beispielsweise die Tonalität von E-Mails zu entschlüsseln. Das Ziel: erkennen, ob eine Kundin oder ein Kunde unzufrieden ist. Früher konnten die Beraterinnen Unzufriedenheit direkt spüren, doch durch die zunehmende Digitalisierung der Kundenbeziehung droht dies unterzugehen. „Zu erkennen, wie es unseren Kundinnen geht, wird eine wichtige Aufgabe von KI sein“, betont Heindl.
Intern sorgt die Einführung mancher KI-Berechnungen noch für Unsicherheit, wie Thomas Heindl offen zugibt. Er ist jedoch überzeugt, dass diese Skepsis mit der Zeit weichen wird. „Das ist wie damals, als das Navigationsgerät erfunden wurde“, sagt er. „Da sind auch alle gefahren, wie sie es für richtig hielten. Heute macht das kaum noch jemand – einfach weil das Vertrauen da ist.“
Kölner Startups treiben KI-Lösungen für Unternehmen voran
Pixit: Firmenfotos aus dem Urlaub
Pixit bietet eine KI-basierte Lösung, die aus Urlaubsfotos professionelle Firmenfotos erstellt – ideal für Unternehmen, deren Mitarbeiter*innen global verteilt sind.
Evy Solutions: Effiziente Datenverarbeitung mit KI
Evy Solutions sorgt mit KI-Unterstützung für Ordnung im Firmenpostfach: Die KI des Unternehmens liest und sortiert Dokumente wie E-Mails, Rechnungen und Auftragsbestätigungen und schafft so Übersicht.
aedifion: KI-Plattform für Energieeffizienz
Das Kölner Proptech aedifion bietet eine KI-basierte Cloudplattform, die Gebäudedaten in Echtzeit analysiert und Schwachstellen erkennt. Die Lösung hilft, Betriebskosten und CO₂-Ausstoß zu senken – mit durchschnittlich 22 % Einsparungen. Kunden wie ECE und das Quartier I/D Cologne nutzen die Plattform bereits erfolgreich.