Künstliche Intelligenz (KI) erobert zunehmend den Bereich des Coachings. An der Technischen Hochschule Köln entwickelt Vanessa Mai mit ihrem Team einen Coaching-Chatbot, der Studierenden die Prüfungsangst nehmen soll. Noch arbeitet ihr Team an Lösungen für Hochschulen, doch auch Unternehmen könnten von solch einer Anwendung profitieren. Die Vorteile eines solchen Tools reichen vom Abbau von Ängsten bis hin zur Begleitung von Mitarbeitenden bei beruflichen Herausforderungen. Ein Interview mit Vanessa Mai, Forschungsgruppenleiterin für smarte Technologien in den Bereichen Coaching und Lernen an der Technischen Hochschule Köln.
Wie KI im Coaching Prüfungsängste lindern kann
Frau Mai, Ihr Chatbot soll Studierenden die Angst vor einer Prüfung nehmen. Aber ist es überhaupt möglich, dass Menschen eine Beziehung zu einer Maschine aufbauen und ihr vertrauen?
Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass wir tatsächlich dazu neigen, technischen Geräten wie Computern oder Robotern menschliche Eigenschaften zuzuschreiben.
Deshalb schreien manche Menschen ihren Computer an!
Richtig. Wir haben unseren Chatbot so konzipiert, dass er wertschätzend und empathisch, aber auch sachlich reagiert. Unsere Forschung zeigt, dass ein solches Feedback beziehungsfördernd wirken kann. Interessanterweise fällt es vielen Nutzerinnen und Nutzern leichter, sich einem Chatbot gegenüber zu öffnen, weil sie ihn als unvoreingenommen wahrnehmen und sich nicht als Person bewertet fühlen.
Wie funktioniert er?
Bei dem Chatbot handelt es sich um ein Selbstcoaching-Tool. Wir übertragenden Ansatz des systemischen Coachings auf den Chatbot. Die Idee dahinter ist, dass durch gezieltes Nachfragen ein Reflexionsprozess angeregt wird. Dieser Reflexionsprozess soll den Nutzerinnen und Nutzern dabei helfen, eine eigene Strategie im Umgang mit Prüfungsangst zu entwickeln. Der Chatbot arbeitet mit generativer KI, wie wir das zum Beispiel von ChatGPT kennen. Wir lassen die KI aber nicht machen, was sie will, sondern steuern und führen sie so, wie wir es für unser Coaching brauchen. Außerdem ergänzen wir das Gespräch an wichtigen Stellen durch präzise vorformulierte Sätze. Wir haben das Thema Prüfungsangst herausgegriffen, weil es viele unserer Studierenden betrifft.
Von Prüfungsangst zu Unternehmenscoaching: Potenzial für den Chatbot
Könnte Ihr Coaching-Chatbot in ähnlicher Form auch in Unternehmen eingesetzt werden?
Das Thema Prüfungsangst ist schon sehr speziell. Aber Unternehmen kennen ähnliche Bedürfnisse. Dort gibt es immer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die vor einer Präsentation unter Lampenfieber leiden. Ein Coaching-Chatbot könnte aber auch Menschen unterstützen, die eine neue Rolle übernehmen, zum Beispiel eine Führungsposition. Eine besondere Herausforderung ist dabei der Umgang mit Zielkonflikten. Das heißt, wie gehe ich vor, wenn es mehrere Lösungswege oder keine richtige oder falsche Entscheidung gibt? Ein weiteres Anwendungsgebiet ist ein „Train the Trainer”-Szenario: Ein Chatbot unterstützt Personen, die als Coaches tätig sind.
Haben Sie bereits Kontakt zu Unternehmen, um Ihren Bot dort zu testen?
Nicht direkt, denn bei dem Vorhaben handelt es sich um ein Forschungsprojekt. Im Moment ist es eher so, dass Unternehmen, die Coaching-Chatbots entwickeln, auf uns zukommen, um mit uns gemeinsam in Forschungsprojekten die Wirksamkeit und Akzeptanz zu untersuchen.
Was raten Sie einem Unternehmen, das einen solchen Chatbot einsetzen möchte?
Unternehmen, die noch keine Erfahrung mit Chatbots haben, empfehle ich, sich zunächst mit einer No-Code-Plattform für KI-basierte Chatbots an das Thema heranzutasten. Mit einer solchen Software kann man ohne Programmierkenntnisse eigene Anwendungen entwickeln. Ich würde auch nicht gleich mit einem so anspruchsvollen Thema wie dem Coaching beginnen. Als Einstieg eignen sich Chatbots für einfache Trainings, zum Beispiel für Computerprogramme. Wichtig ist bei alldem: Holen Sie die Zielgruppe mit ins Boot. Es ergibt keinen Sinn, einen Chatbot für Themen zu entwickeln, die niemanden interessieren.
Welche Hürden erkennen Sie in Bezug auf die Nutzung einer künstlichen Intelligenz wie ChatGPT im Bereich des Coachings?
Es kann vorkommen, dass die KI die Frage nicht versteht oder falsch interpretiert. Dann „halluziniert” sie, gibt also eine falsche Antwort. Bei einem so sensiblen Thema wie Prüfungsangst kann das fatal sein. Das Problem ist, dass die KI zwar Emotionen gut nachbilden kann, aber nicht wie ein Mensch agiert. Man kann versuchen zu steuern, welche Art von Antworten die KI ausgibt oder wie sie sich im Gespräch verhält. Das nennt man Prompting. Es ist wegen der schwierigen emotionalen Situation dieser Gespräche sehr verantwortungsvoll.
KI-gestütztes Coaching: Herausforderungen und Zukunftspläne
Wenn die KI-Antworten auch mal falsch sein können, wie kann man sicher gehen, dass die Informationen ankommen?
Das ist ganz interessant, man kann der KI auch noch Informationen zur Verfügung stellen, auf die sie sich beziehen kann, wenn sie sich nicht ganz sicher ist. Die Technologie nennt sich “RAG” (Retrieval Augmented Generation). Damit kann der Chatbot Informationen aus externen Wissensquellen abrufen, um die Qualität der Antworten zu optimieren.
Planen Sie, Ihren Chatbot entsprechend aufzurüsten?
Ja, an einigen Stellen nutzen wir diesen Ansatz bereits und wollen ihn zukünftig auch für andere Anwendungsfälle ausweiten. Damit liefert der Chatbot insbesondere in spezifischen Szenarien, wie dem Coaching, genauere Informationen.
Glauben Sie, dass ein Chatbot, mit dem wir anonym interagieren können, das HR Tool der Zukunft sein könnte?
Ja und nein. Chatbots werden in relativ kurzer Zeit sehr viel können und über einfache Aufgaben und die Beantwortung von Standardfragen hinaus in der Lage sein, Menschen in beruflichen Situationen zu unterstützen. Wenn sie gut konzipiert sind, funktionieren sie für niedrigschwellige Beratungsanliegen schon sehr gut. Das zeigt ja auch der derzeitige Trend, KI-gestützte Assistenten in Unternehmensanwendungen zu integrieren. Aber ich glaube nicht, dass sie die Interaktion mit einem Menschen ersetzen können oder sollen. Darauf weisen wir auch bei unserem StudiCoachBot hin.